Mit ihrem Charging Index ermittelt die P3 Group die wahren Ladegeschwindigkeiten von Elektroautos. Erstmals kommt der Lade-Champion aus Korea. Der letztjährige Sieger fällt auf Platz zwei zurück.
Kia schlägt Mercedes: Was in Auto-Vergleichstests eher selten vorkommt, macht der Charging Index der P3 Group (P3CI) möglich. Die Beratungsgesellschaft aus Stuttgart hat dabei im dritten Jahr hintereinander die wahre Ladegeschwindigkeit von Elektroautos verglichen. Im aktuellen Ranking sieht sie den Kia EV6 mit 77,4-Kilowattstunden-Akku und Heckantrieb vorne. Und das ziemlich klar: Mit einem Wert von 1,03 kann der Koreaner nicht nur die geballte deutsche Elektro-Oberklasse schlagen, sondern auch seinen Plattformbruder Hyundai Ioniq 5.
Die P3 Group erhebt den Index, damit Käuferinnen und Käufer sich nicht von der maximalen Ladeleistung eines E-Autos blenden lassen müssen. Mag sein, dass ein Porsche Taycan unter idealen Bedingungen und mit vorkonditionierter Batterie mit fast 300 kW laden kann. Doch wenn er diese Leistung schnell wieder herunterregelt, kann man die Fahrt möglicherweise auch nicht schneller fortsetzen, als in einem Konkurrenzprodukt. Deshalb betrachtet P3 ausschließlich das Ladefenster zwischen zehn und 80 Prozent State of Charge (SoC). Für eine bessere Vergleichbarkeit wurden alle Kontrahenten an Schnellladesäulen desselben Herstellers gemessen. Die Ausnahme bilden Tesla-Modelle, die nur an den firmeneigenen Superchargern ihre optimale Ladeleistung erreichen.
Wie viele Extra-Kilometer in 20 Minuten?
Der Index wird errechnet, indem P3 den Quotienten aus der real in einem Zeitraum von 20 Minuten nachgeladenen Reichweite zu einem Zielwert von 300 Kilometern ermittelt. Wer genau diese Bedingung erfüllt, erreicht einen P3CI von 1,0. Da der Kia sogar bei 1,03 landet, kann er in 20 Minuten sogar mehr als 300 Kilometer Reichweite nachladen; es sind 309 Kilometer, um genau zu sein. Damit ist der EV6 das erste Auto überhaupt in der Geschichte des P3 Charging Index, das über die 1,0-Marke springt.
Bei der letztjährigen Ausgabe des P3CI lag noch der Mercedes EQS 580 vorne. 2022 fällt der Schwabe auf den zweiten Platz zurück, was aber nicht daran liegt, dass diesmal die Modellversion 450+ in die Wertung kam. Diese erreicht sogar einen besseren Wert: 2021 reichte ein P3CI von 0,88 beziehungsweise 266 Kilometern noch zum Sieg für den Elektriker mit Stern. Diesmal schafft der EQS 450+ sogar einen Charging Index von 0,92 respektive 275 Kilometern – und wird doch nur Zweiter.
Enges Rennen auf den weiteren Plätzen
Dass es inzwischen einige sehr schnell ladende Elektroautos gibt, zeigt ein Blick auf das weitere Ranking. Der BMW iX xDrive 50 (P3CI von 0,91 respektive 273 Kilometern), der Hyundai Ioniq 5 2WD (0,91 oder 272 km) und der Porsche Taycan GTS Sport Turismo (0,90 bzw. 271 km) folgen alle dicht hinter dem Mercedes und erreichen Werte, die im vergangenen Jahr noch zum Sieg gereicht hätten.
Dass die beiden koreanischen Elektroautos derart stark abschneiden, überrascht nicht: Wie der Taycan nutzen sie eine 800-Volt-Bordnetz-Architektur. Wie die Ladekurve zeigt, sind sie damit in der Lage, beim Nachtanken von Strom ihren anfänglichen Mega-Energy-Boost so lange beizubehalten, bis die Batterie wieder gut 50 Prozent ihrer Kapazität erreicht hat. Vorteil des Kia gegenüber dem Hyundai: Er steigt in Sachen Ladeleistung etwas höher ein (etwa 235 Kilowatt) und erarbeitet sich damit einen Vorsprung, den keiner der Konkurrenten aufholt.
Paradoxon Porsche Taycan
Der Taycan und der weitgehend baugleiche Audi E-Tron GT Quattro, die ebenfalls mit einer 800-Volt-Architektur gesegnet sind, steigen zwar mit jeweils über 250 kW deutlich höher ein. Der Taycan erreicht mit 276 kW sogar die höchste maximale Ladeleistung aller getesteten Elektroautos. Aber beide Modelle knicken bereits bei 45 Prozent Kapazität ab – und das zudem klar stärker als die Wettbewerber. So gelingt dem Taycan das „Kunststück“, mit 227 kW auch die größte durchschnittliche Ladeleistung zu bieten, aber im SoC-Bereich zwischen zehn und 80 Prozent trotzdem langsamer 300 Kilometer nachzuladen als vier andere E-Autos.
Der EQS schafft dagegen die Kunst, mit lediglich 400 Volt mitzuhalten. Er lädt anfangs nur mit etwa 210 kW und hält dieses Niveau auch nur, bis der Akku zu nicht einmal 30 Prozent gefüllt ist. Aber seine Kurve fällt dann deutlich flacher ab als jene der süddeutschen 800-Volt-Konkurrenz, weshalb er mit längerem Atem schließlich einen etwas höheren P3CI holt. Ganz ähnlich verläuft übrigens die Ladekurve des BMW iX, der ebenfalls auf ein 400-Volt-Akku vertraut.
VW ID.3 lädt deutlich langsamer als 2021
Erstmals ermittelt die P3 Group den P3CI in drei verschiedenen Klassen: Kompakt- (BAFA-Nettolistenpreis bis zu 35.000 Euro), Mittel- (35.000 bis 65.000 Euro) und Oberklasse (ab 65.000 Euro). Dass teurere Elektroautos offenbar die bessere Ladetechnik aufweisen, zeigt das im Vergleich eher maue Abschneiden der Kompaktklasse-Fahrzeuge. Das beste Unter-35.000-Euro-E-Auto, der VW ID.3 mit 58-Kilowattstunden-Batterie, schafft gerade einmal einen P3CI von 0,51 und lädt in 20 Minuten 153 Kilometer nach. Dass es das Modell grundsätzlich besser kann, zeigt die letztjährige Performance der Modellversion ID.3 Pro S mit 0,73 oder 220 Kilometern. Das reichte 2021 noch zum dritten Gesamtplatz.
In ihrer Auswertung betrachtet die P3 Group zudem ein Phänomen, dass sich bereits bei Verbrenner-Fahrzeugen als Dauer-Ärgernis erwiesen hat: die Diskrepanz zwischen dem Normverbrauchswert und dem tatsächlichen Energieverbrauch. Für diese Auswertung zieht die Beratungsgesellschaft einerseits den WLTP-Wert und andererseits den tatsächlichen Stromverbrauch laut ADAC-Ecotest heran. Indem er seine Normverbrauchsangabe von 20,0 Kilowattstunden auf 100 Kilometer in der Realität nur um zwei Prozent übertrifft, gewinnt der BMW iX xDrive50 diese Kategorie deutlich. Es folgen der Polestar 2 LR Single Motor (plus acht Prozent) und der Kia EV6 (plus elf Prozent) auf den weiteren Podiumsplätzen.
Zwei Audis mit höchstem Stromverbrauch
Was den Energieverbrauch angeht, liegen zwei Audis am Ende des Feldes. Am schwächsten schneidet der Audi E-Tron GT Quattro ab: Er verbraucht im ADAC-Ecotest 26,3 Kilowattstunden auf 100 Kilometer und übertrifft seinen WLTP-Normwert um 22 Prozent. Kaum besser ist der Markenkollege E-Tron 55 Quattro mit 25,8 kWh/100 km respektive 13 Prozent. Die größte Diskrepanz zwischen Werksangabe und Realverbrauch zeigt sich beim VW ID.4 mit 77-Kilowattstunden-Akku: Er verbraucht laut ADAC 22,8 statt 16,4 kWh/100 km – eine Diskrepanz von satten 28 Prozent.
Der P3 Charging Index liefert interessante Erkenntnisse in Bezug auf die tatsächliche Ladegeschwindigkeit von Elektroautos. Denn er zeigt: Maximale Spitzenleistung muss nicht bedeuten, dass dieses Auto auch in Wirklichkeit am schnellsten Strom nachtankt. Generell zeigt sich: Die Fahrzeuge mit 800-Volt-Architektur können ihren theoretischen Vorteil auch in der Praxis nutzen. Allerdings können auch 400-Volt-Autos mithalten, wenn ihnen eine intelligente Ladestrategie eingepflanzt wird – siehe Mercedes EQS und BMW iX.
This article is originally published by auto-motor-und-sport.de